Was haben Entenfüttern und Salzstreuen gemeinsam? Crashkurs Lernpsychologie

13.01.2016 07:42

Die Zeitung hat 2015 - dank einer Gastautorin - tatsächlich mal einen guten Artikel zu einem Umweltthema hinbekommen. Anlass war das ungewöhnlich zutrauliche Verhalten des "Schmilauer Wolfs", der in der Umgebung Möllns mehrmals gesichtet worden war. Man vermutete, er sei von Menschen angefüttert worden...

Anlässlich des ungewöhnlichen Verhaltens des Wolfs, der sich am helllichten Tag vollkommen ungerührt in unmittelbarer Nähe von Menschen aufhält, muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie menschliches Verhalten auf Wildtiere wirkt.

Menschen haben einen anscheinend "angeborenen" Drang, Tiere zu füttern. Und Tiere lernen, davon vermeintlich zu profitieren. Hier sehen wir, wie Teichhuhn-Eltern ihren Küken beibringen, dass ein Stück Eiswaffel eine leckere, lohnende "Beute" ist...

Wie brave Schüler im Unterricht versammeln sich die Küken um das Waffelstück. Beim ersten Mal frisst das Elterntier als "Lernmodell" die Waffel. Nachahmung oder Modelllernen ist eine der wichtigsten lernpsychologischen Mechanismen.

Auf dem Foto des Zeitungsartikels sehen wir eine Mutter, die sich neben ihrem Kind hinhockt, um den Enten Futter hinzuhalten. Die Mutter ist das Lernmodell. Und so lernen beide: Enten und Kinder. Das Kind lernt  durch Nachahmung seiner Mutter. Die Enten durch die Belohnung in Form von Futter.

Modelllernen kann auch schief gehen, wenn wir uns falsche Vorbilder suchen ...

Die Mutter müsste eigentlich wissen, dass sie ihrem Kind mit dem Entenfüttern nichts Sinnvolles beibringt. Das Füttern von Brot macht Enten krank, verschmutzt die Gewässer, führt zu Algenexplosion im Sommer und kann sogar Fischsterben begünstigen.

Warum tut die Mutter es trotzdem?

Hier greift ein weiterer lernpsychologischer Mechanismus: das Lernen am Erfolg. Die Fachleute nennen es operante Konditionierung. Wir Menschen haben das Bedürfnis nach "Selbstwirksamkeit", d.h. nach unmittelbarem Erfolg unseres Verhaltens. Wir empfinden ein Belohnungsgefühl (ausgelöst durch Transmitter wie z.B. Endorohine oder das Glückshormon Serotonin) wenn unmittelbar auf unser Verhalten ein Erfolg eintritt.

Zum Beispiel wenn wir Brot ins Wasser werfen und hübsche Schwäne auf uns zuschwimmen - hier bekommen gerade Jungschwäne von ihren Eltern beigebracht, wo sich zweibeinige Futterquellen aufhalten...

Es gibt zwei Arten von psychologischen Verstärkern: zum einen positive Verstärker, d.h. eine unmittelbar angenehme Konsequenz auf das Verhalten, z.B. Futter...

Beim Salzstreuen kennen wir diesen Effekt auch: man streut es auf den Boden, und sofort unter unseren Augen taut der Schnee oder das Eis weg - ein starkes Erlebnis von "Selbstwirksamkeit" (der junge Mann auf dem Bild arbeitet sich mit seinem Salzeimer von unten nach oben vor und wird am Ende, wenn sein Salzteppich die Straße komplett bedeckt, ein starkes Gefühl der Zufriedenheit empfinden)...

Das Knistern des Eises und das sichtbare Tauen sind starke Verstärkererlebnisse, die uns dazu verleiten, das Streu- Verhalten so oft wie möglich zu wiederholen!

Dann gibt es aber auch noch negative Verstärker. Das sind Belohnungserlebnisse, die wir haben, wenn wir eine reale oder befürchtete Strafe  abwenden. Die Strafe bilden wir in unserem Kopf schon vor ihrem möglichen Eintreten ab...

Die am meisten "gefürchtete" Strafe von Grundstücksbesitzern sind die Kosten im Falle eines Glätteunfalls. Diese Strafe ist ein solch schlimmes Horrorszenario, dass die theoretisch drohenden Bußgelder für satzungswidriges Salzstreuen - die ohnehin nie verhängt werden - keinerlei abschreckende Wirkung haben.

Das Verhalten orientiert sich an der "schlimmstmöglichen" Strafe und dient der Abwehr von Angst...

Wenn Angst abgewehrt wurde, entsteht ein starkes Gefühl der Entspannung, was wiederum Belohnungscharakter hat...

(alle Zeichnungen: Brigitte Dubbick)

Die negativen Folgen unseres Verhaltens sind uns in der Situation egal. Sterbende Bäume haben im Winter in unserer Vorstellung keinen Platz - und der Sommer ist weit, weit weg...

Und das ist der Grund, weshalb das Salzstreuen im Winter wohl niemals auszumerzen sein wird...

Zum Thema "Angst vor Strafe" sei noch angemerkt, dass Menschen von Natur aus ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe haben. Ich berichtete in diesem Blog bereits über die Milgram-Experimente die zeigen, dass Menschen ihr Verhalten an Vorbildern orientieren, auch wenn deren Verhalten regelwidrig ist.

Auf das Salzstreuen angewendet, bedeutet dies: wenn zahlreiche Mitbürger, darunter angesehene Bürger wie Geschäftsleute, Hauseigentümer, Ärzte oder Rechtsanwälte auf ihren Gehwegen Salz streuen, dann vermittelt dies den Eindruck, das sei das "richtige" Verhalten. Menschen ahmen dies nach, obwohl sie wissen, dass die städtische Satzung Streusalz verbietet und abstumpfende Mittel vorschreibt.

Das Übrige tun die Einzelhändler, die fast ausschließlich Streusalz und keine Alternativen anbieten...

Also muss sich auf allen Ebenen etwas ändern: die Politik muss eingreifen in die Verkäuflichkeit von Streusalz, der Einzelhandel muss Alternativen anbieten, die städtischen Satzungen müssen konkretisiert, Schlupflöcher für satzungswidriges Verhalten geschlossen und bei Zuwiderhandlung Bußgelder auch tatsächlich erhoben werden,

Und nicht zuletzt müssen alle Bürger, besonders Menschen in herausragenden Berufen / Positionen sich ihrer Vorbildfunktion in der Gesellschaft bewusst werden und mit gutem Beispiel vorangehen!

(Abbildung: Granulat-Streu auf einer Eisfläche - ein abstumpfendes Mittel, das zuverlässig und anhaltend vor Glätte schützt und Salz auch bei Glatteis überflüssig macht!)

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