Streusalz-Mail vom 16.12.2016: Standards im Winterdienst oder Freifahrtschein für hemmungslosen Streusalz-Wahn?

16.12.2016 13:05

Meine heutige Streusalz-Mail geht wie immer an wichtige Empfänger aus Politik, Medien, Umweltorganisationen und Gesellschaft.

>> „Standards im Winterdienst“ oder Freifahrtschein zum hemmungslosen Salzen?

Liebe Leser,

vor zweieinhalb Jahren besuchte Möllns Bürgermeister Jan Wiegels meine Aktion „Streusalzbad“ und kündigte kurz darauf in einer E-Mail einen gemeinsamen Pressetermin zum Thema an. Dieser hätte natürlich dem Umwelt-Thema, für das ich mich seit über vier Jahren unermüdlich und ohne jegliche politische oder institutionelle Unterstützung einsetze, eine enorme Aufmerksamkeit gebracht...

Leider wurde dieser gemeinsame Pressetermin kurz darauf abgesagt:  ich vermute, dass  Wiegels durch Stadtvertreter  aus dem konservativen Lager „zurückgepfiffen“ wurde, und es hat nie wieder eine Kontaktaufnahme seitens der Stadt gegeben.

Der aktuelle Artikel in den Lübecker Nachrichten zum Möllner Winterdienst enthält nun in einem Kasten ein (stark gekürztes) Statement von mir, allerdings war ich im Vorfeld nicht über die geplante Anschaffung eines neuen Streufahrzeugs informiert worden.

Meine Rezeption zum Artikel lesen Sie hier

Das Thema „Streusalz im Winterdienst“  wird von mir seit 2013 mit allen seinen Implikationen eingehend behandelt. Dazu gehören Themen wie Streusalz und Umwelt,  Medien und Streusalz, Alltags-Psychologie des Streuverhaltens, Streusalz und Lokalpolitik, rechtliche Aspekte etc.

In vielen Streusalz-Mails an Empfänger aus Medien, Politik und Gesellschaft, einem Blog und auf meinem Twitter-Nachrichtenkanal versuche ich dem Thema in seiner ganzen Vielschichtigkeit gerecht zu werden.

Ich bin die einzige Streusalz-Bloggerin deutschlandweit. Insbesondere meine Foto-Dokumentationen zu Salzschäden an Bäumen sind wahrscheinlich umfangreicher als alles, was zum Thema bisher veröffentlicht wurde...

Mein bisheriges Fazit: der Einsatz von Streusalz im Winterdienst bewegt sich hierzulande weitgehend in einem rechtsfreien Raum. Es gibt keine wirklichen Kontrollen, selbst die Kommunalaufsicht ist – wie im Artikel zu lesen – beim Thema Streusalz machtlos gegenüber Städten und Gemeinden, die offenbar das Umweltgift Natriumchlorid  nach Gutdünken handhaben können. Das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) scheint durch das Totschlagargument der „Sicherheit“ außer Kraft gesetzt.

Ein vollkommen unhaltbarer Zustand!  Zumal das immer wieder vorgebrachte Argument der „Sicherheit“, die Streusalz angeblich schafft, einer eingehenden Prüfung nicht standhält: abgesehen von tausenden Toten, die jährlich bei Verkehrsunfällen mit Streufahrzeugen weltweit zu beklagen sind, gibt es sogar mit Streusalz 25 % mehr Verkehrstote als ohne!

Das zeigt doch, dass viele der Argumente, mit denen Streusalz als unverzichtbar hingestellt wird, vorgeschoben sind. In Wirklichkeit hängen wir doch vor allem so an der weißen „Wunderwaffe“ gegen den Winter, weil es das billigste und am bequemsten zu handhabende Mittel ist.

Hunderttausende Tonnen des Umweltgifts gehen jedes Jahr zum Schleuderpreis über die Ladentheke...

Und Kommunen pökeln ihre Straßen: in Mölln 100 Straßen-Kilometer, in Schleswig-Holstein 100 000, in Deutschland eine halbe Million. Der Streusalz-Verbrauch liegt inzwischen bei horrenden 5 Millionen Tonnen pro Jahr!

Über die Auswirkungen, auf Böden, Pflanzen, Bäume, Mikroorganismen, Tiere  und Gewässer, incl. Artensterben und Versalzung des Trinkwassers habe ich mich umfassend in meinem Blog und in den Streusalz-Mails geäußert. Ich möchte hier nicht alles wiederholen.

Eines ist jedenfalls klar: die Anschaffung eines 350 000 Euro teuren Streufahrzeugs löst weder die Umweltprobleme, noch die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit dem „vielgepriesenen“, aber nichts desto trotz hoch gefährlichen Umweltgift Streusalz.

Die vollmundige Behauptung, eine Stadt setze „Standards im Winterdienst“ ist deshalb mit allergrößter Skepsis zu bewerten. Die Reduktion um bis zu 60% gegenüber dem bisherigen Streusalz-Verbrauch als „umweltschonend“ zu bezeichnen  ist für mich vergleichbar mit der Behauptung, es wie für einen Hasen schonender, mit 10 statt mit 20 Schrotkugeln erschossen zu werden.

Die Streusalz-Problematik ist äußerst vielschichtig und bisher in Wissenschaft, Politik  und Medien sträflich vernachlässigt worden. Jede Diskussion wird mit dem Totschlagargument der „Sicherheit“ im Keim erstickt. Es wäre geradezu fahrlässig, den Eindruck zu erwecken, mit einer ominösen „bis zu 60 prozentigen“ Reduktion des Salzverbrauchs alle Chlorid-bedingten Probleme lösen zu können.

Deshalb sind meine Forderungen viel weitergehend:

  • Streusalzschäden müssen quantifiziert werden! Bodenproben an typischen Streusalz-belasteten Standorten müssen entnommen, untersucht und ein entsprechendes Kataster öffentlich zugänglich gemacht werden 
  • Gesetze zum Schutz der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen durch Streusalz müssen auf den Weg gebracht werden
  • Alternativen zum derzeitigen ungehemmten Salzeinsatz im öffentlichen und privaten Winterdienst müssen vorangetrieben werden
  • Konkrete Zahlen zu materiellen Schäden durch Streusalz, wie vorzeitiges Absterben von Straßenbäumen und Belastung von Gewässern, müssen ermittelt und öffentlich zugänglich gemacht werden
  • Das Haftungsrecht muss überarbeitet werden: es kann nicht sein, dass allein aus Regressangst flächendeckend umweltgiftiges Salz gestreut wird, nur weil bei Glätteunfällen die Haftung überwiegend beim Grundstückseigentümer bzw. der Gemeinde oder dem jeweiligen Straßenbetreiber liegt.
  • Die Abgabe von Streumitteln durch den Einzelhandel muss reglementiert werden: es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Baumärkte und Discounter ausschließlich Streusalz anbieten, wenn in Gemeindesatzungen der Gebrauch von Streusalz untersagt ist!
  • Das Paradigma ganzjähriger unbegrenzter Mobilität muss auf den Prüfstand! Ist es wirklich nötig, eine halbe Million Straßenkilometer mittels eines hochgefährlichen und kumulativen Umweltgifts (Natriumchlorid) bei winterlicher Witterung zu jeder Tages- und Nachtzeit für maximale Benutzbarkeit incl. Maximalgeschwindigkeit befahrbar zu machen? - Immerhin ist nachgewiesen, dass bei Winterwetter ohne Streusalz 25% weniger Verkehrstote zu beklagen sind!

Ich werde nicht ruhen, für diese Ziele einzutreten, solange das Thema "Umweltgift Streusalz" und damit verbundene notwendige Gesetzes- und Verhaltensänderungen nicht auf der politischen Agenda steht. Für unsere Umwelt und damit für uns und die folgenden Generationen!

Frohe Festtage wünscht Ihnen Ihre

Beate Schicker

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