"Niemand wird über Ihren Fall berichten" - die kalte Arroganz der Macht...

22.03.2017 07:50

Können Sie sich vorstellen, dass ein Politiker einen Journalisten verklagt, nur weil er den "Eindruck" hat, der Journalist sei kritisch ihm gegenüber eingestellt? - Richtig: das wäre völlig abwegig, den Journalismus muss kritisch, manchmal provozierend sein, und nicht zuletzt hat jeder Leser seine subjektive Sicht der Dinge.

Mehrere höchstrichterliche Urteile haben aus gutem Grund in vergleichbaren Prozessen ein "Verbot einer Eindruckserweckung" für unzulässig erklärt. Es würde der Willkür Tür und Tor öffnen!

Doch es gab einen Prozess, der ganz anders verlief - völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit. Es ist ein unerkannter Presse- und Justizskandal, der auf meinem Rücken ausgetragen wurde.

Es ging um diesen "Leserbrief", den die Lübecker Nachrichten am 21. März 2013 im Lokalteil Lauenburg ohne meine Erlaubnis abdruckten - einfach aus einer E-mail an die Redaktion zusammengeschrieben und mit einer redaktionellen Überschrift versehen...

Zweieinhalb Jahre peitschten Möllner Rechtsanwälte, die den "Eindruck" hatten, sie seien mit diesen Zeilen gemeint, durch die Zivilgerichte. Der Madsack-Verlag unterstützte sie dabei (!). Heraus kam ein Urteil, das auch heute noch nicht nur jeden Juristen, sondern jeden Menschen mit einem gesunden Rechtsempfinden fassungslos machen muss. Mir wurde allen Ernstes die "Erweckung des Eindrucks" verboten, dass eben jene Rechtsanwälte...

Man beachte: 1. nirgends im Text wurden Namen genannt. 2. Vielmehr waren die Anwälte sich erst einmal gar nicht sicher ob sie gemeint waren, deshalb riefen sie noch am selben Tag Kollegen in der Nachbarschaft an und sprachen sich mit diesen ab, wer von beiden mich nun verklagen würde (!).

Dieser Leserbriefprozess zeigt nicht nur in erschreckender Weise, wieviel Einfluss ein  überregionaler Medienkonzern auf allen gesellschaftlichen Ebenen hat, bis hin zur Rechtssprechung - die ja eigentlich die reinste und unbestechlichste Ausdrucksform unserer Demokratie sein sollte.

Er zeigt natürlich auch, dass in der Medien- und Pressewelt mit zweierlei Maß gemessen wird: während Prominente wie Jan Böhmermann (der wegen eines Schmähgedichts vom türkischen Präsidenten verklagt wurde) jedwede moralische, rechtliche und finanzielle Unterstützung seitens ihres Senders erhalten, liefert hier ein Zeitungskonzern seine engagierte Leserin und Alltags-Whistleblowerin eiskalt einem juristischen Racheakt aus.

Die Presse-Anwälte von Madsack waren von Beginn an zielgerichtet tätig, um den Klägern zum Prozessgewinn gegen mich zu verhelfen. Sie haben dafür u.a. hinter den Kulissen interveniert. Das hat einer von ihnen in einem unerlaubten Telefonat, das er mit mir führte, eingeräumt. Er verplapperte sich und gab Wissen preis, das er nur von einem Berufskollegen haben konnte, an den ich mich mit dem Fall gewendet hatte. Zu diesem Telefonat komme ich später.

Auf der Webseite der in Hamburg und Berlin tätigen Sozietät der Madsack-Anwälte brüstet man sich mit internationalen Diplomen. Bei der ersten Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Ratzeburg am 7. Mai 2013 hatte der Berliner Presseanwalt einen gekonnten Auftritt. Er ließ zunächst die Anwesenden - einschließlich dem Richter - eine Viertelstunde warten, betrat dann mit dynamischen Schritten und straff aufgerichtet den Saal, natürlich ohne sich für seine Verspätung zu entschuldigen. Damit war die Rangordnung bereits geklärt.

Nie werde ich den ehrfurchtsvollen Blick, die glänzenden Augen des jungen Amtsrichters vergessen, als er aufgeregt stammelte: "Ah - da ist der Herr Rechtsanwalt Soundso aus Berlin - ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise...!"

Die Gerichtsverhandlung selbst war eine Farce. Die Hierarchie war festgelegt: der Madsack-Anwalt zeigte durch seine pure Anwesenheit und seinen strengen Blick in die Runde von seinem Platz neben dem Klägervertreter allen, wo es langging. Der Richter schwenkte, als er sich mir zuwandte, abrupt von eben noch gezeigter Ehrfurcht auf tiefste Verachtung um. Er betrieb keine Wahrheitsfindung, sondern ließ keine Gelegenheit aus, mich zu verhöhnen, zu demoralisieren und bloßzustellen. Sein Verhalten war ganz eindeutig auf Einschüchterung und Zermürbung ausgelegt.

Als ich versuchte darzulegen, dass ich meinen Text ohne Veröffentlichungswunsch an die Redaktion gesandt hatte und die Meinung äußerte, dass ein geübter Redakteur dies schon am Sprachduktus meiner E-mail hätte erkennen müssen, verhöhnte er den Begriff "Sprachduktus" und lachte mich gemeinsam mit dem Klägervertreter und dem Madsack-Anwalt aus. Er versuchte mich auf unwichtiges Details festzunageln, so bohrte er z.B. minutenlang nach, warum ich in einer vorangegangenen, nicht im Streitgegenstand enthaltenen Mail an die LN-Redaktion einen Namen nicht ausgeschrieben, sondern anonymisiert hatte.

Die Art und Weise, wie der Richter mit mir umging - voller Verachtung und Arroganz  - erinnerte mich an Gerichtsfilme über Schauprozesse in Diktaturen. Ich fühlte mich einem übermächtigen Gegner ausgeliefert, ich spürte, dass ich vollkommen chancenlos war. Mein Anwalt war erstarrt und stumm, er schien nur ein Komparse, eine Alibifigur zu sein.

Das Ergebnis dieses ersten Abschnitts des Möllner Leserbriefprozesses war, dass der Streitgegenstand willkürlich von "Behauptungen" zu "Eindruckserweckungen" ausgetauscht wurde, die mir für die Zukunft verboten wurden. Dies war nötig, um die Kläger gewinnen zu lassen. Im Berufungsurteil vom Februar 2014 wurde diese eklatant rechtswillkürliche Lesart zu meinem Entsetzen und zur großen Verwunderung meiner Anwälte bestätigt.

Da ich nun wusste, dass offenbar die Macht des Medienkonzerns auch die Gerichte umfasst und allgemein anerkannte Rechtsbegriffe auszuhebeln vermag, tat ich mit dem Mut der Verzweiflung einen ungewöhnlichen Schritt: ich griff  am 6. März 2014 zum Telefon und wählte die Nummer des Madsack-Presseanwalts in Berlin.

Er war sofort persönlich am Telefon, und ich fragte ihn rundheraus, warum die Lübecker Nachrichten keinerlei Verantwortung für den unautorisierten Leserbrief vom 21. März 2013 übernehmen wollten, warum sie ihre engagierte Leserin und Whistleblowerin verraten hatten und stattdessen auf der Seite der Kläger dem Rechtsstreit beigetreten waren.

Er sagte, er dürfte mit mir, da er die Gegenseite vertrete, nicht sprechen, doch ich überzeugte ihn, mir wenigstens zuzuhören. - Ich stellte ihm zunächst eine rhetorische Frage, nämlich ob er sich als Diener des Rechts oder doch eher als Herr über das Recht fühle. Darauf erntete ich nur ein Kichern am Ende der Leitung.

Seine Arroganz hatte er inzwischen mehrfach demonstriert, so auch nach der verlorenen Berufungsverhandlung in Lübeck, als er meinem Anwalt triumphal auf die Schulter klopfte: "Herr Kollege, was machen Sie denn nur für Sachen! Wie konnten Sie uns den Streit verkünden..."

Ich weiß heute, dass die "Streitverkündung" meiner Anwälte für die Lübecker Nachrichten eine Steilvorlage war: sie bot der Zeitung eine bequeme moralische Rechtfertigung, auf der Seite der klagenden Partei dem Prozess beizutreten.

Ich stellte ihm meine Fragen in sachlich korrektem Ton. Er antwortete herablassend, ich solle mich in dem Rechtsstreit geschlagen geben und „versuchen, über die ganze Sache hinwegzukommen“. Dabei könne mir womöglich die Lektüre des Buches „Michael Kohlhaas“ helfen. Man bedenke, Michael Kohlhaas ist eine literarische Figur, die in ihrem Kampf um Gerechtigkeit letztlich den Verstand verliert und zum Massenmörder wird. Eine Beleidigung mehr, über die ich mich aber nicht mehr wunderte.

Er rügte dann nochmals mit gespielter Empörung die "Streitverkündung" meiner Anwälte gegenüber dem Madsack-Konzern und setzte dies damit gleich, dass ich die Zeitung verklagen wollte. Dadurch sei sie in die Gegnerschaft gezwungen worden.

Natürlich wusste er, dass mit einer "Streitverkündung" niemand in eine Gegnerschaft gezwungen wird, es sei denn derjenige will das so sehen. Eine Streitverkündung ist eine sogenannte "prozessökonomische Maßnahme", auf die die Zeitung überhaupt nicht hätten reagieren müssen. Sie hätte sich zumindest parteineutral verhalten können, wenn sie schon nicht mir als ihrer Leserin beistehen wollte.

Und dann kam der Teil des Gesprächs, in dem der Presseanwalt sich mir gegenüber verplapperte: er behauptete, dass meine Anwälte mir von einem Berufungsverfahren abgeraten hätten und ich daraufhin einen anderen Anwalt aufgesucht hatte. Davon stimmte nur letzteres - die vorläufige Trennung von meinen Anwälten war nicht von ihnen, sondern von mir ausgegangen.  - Aber woher wusste er, dass ich zwischenzeitlich einen anderen Anwalt aufgesucht hatte?

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: im Juni 2013 erwog ich tatsächlich einen Anwaltswechsel: ein junger, ehrgeiziger Fachanwalt für Presserecht aus Kiel wollte den für ihn - wie er selbst sagte - "interessanten Fall" gerne übernehmen. Er sah einige Ansatzpunkte, um die Lübecker Nachrichten zur Verantwortung zu ziehen, u.a. durch die sog. Verbreiterhaftung. Mündlich hatte er mir bereits fest zugesagt: "Frau Schicker, ich übernehme Ihren Fall".  Nach wenigen Tagen war er plötzlich nicht mehr für mich erreichbar, und als ich telefonisch endlich zu ihm durchkam, sagte er mir unfreundlich, schroff und ohne sachlich nachvollziehbare Gründe ab.

Jetzt erklärten sich mir diese Vorgänge! Es konnte gar nicht anders sein, als dass der Madsack-Anwalt auf den jungen Presseanwalt aus Kiel eingewirkt hat.  Und das wiederum konnte nur geschehen, weil der junge Kieler Anwalt sich zuvor beim Madsack-Anwalt gemeldet hatte, quasi um das OK vom stärkeren potentiellen Gegner einzuholen! Woher sonst sollte der Madsack-Anwalt wissen, dass ich den Wechsel zu einem Fachanwalt erwogen hatte - und er musste auf den jungen Kollegen eingewirkt haben, der dann von einem Tag auf den anderen von dem Fall absprang!

Der perfide Plan, mich von jeder qualifizierten anwaltlichen Vertretung abzuschneiden, um den Rechtsstreit vorzeitig zugunsten der Kläger und der Zeitung zu beenden, wäre fast aufgegangen.  

Das Telefonat war noch nicht zu Ende. Ich reagierte geistesgegenwärtig und fragte den Madsack-Anwalt, woher er dieses Insiderwissen hatte. Doch er merkte, dass er sich verplappert hatte ("das tut jetzt nichts zur Sache") und wechselte schnell das Thema. Routiniert nutzte er die Gesprächssituation, um mich noch einmal richtig einzuschüchtern und zu demoralisieren: auf ein mögliches Hauptsacheverfahren bezogen, prophezeite er mir: „Sie werden wieder verlieren“.

Dann drohte er mir, ich könne versuchen meinen Fall publik zu machen, das werde mir nicht gelingen. Er hätte gute Kontakte zu allen großen Medien, und egal ob ich mich an WISO, NDR-Markt, Ostseezeitung oder (so wörtlich) „sonstige Vereine, die da oben herumkrauchen“ wende – ich würde erfolglos sein.

Nach unserem Telefongespräch wollte der Madsack-Anwalt von allem, was er zu mir gesagt hatte, nichts mehr wissen. In einer E-Mail von 9.32 Uhr desselben Tages leugnete er schriftlich, mit mir dieses Gespräch geführt zu haben. Um noch einen "draufzusetzen", rief er aber bei meinen Anwälten an und behauptete, ich hätte ihn am Telefon angepöbelt.

Doch auch das wirkte nicht: meine Anwälte haben den Fall erneut wieder aufgenommen und mich mit Sorgfalt und Routine - aber eben nicht mit den Finessen, die ein Presseanwalt zur Verfügung gehabt hätte - bis zum letzten Urteil im Oktober 2015 vertreten. Zu einer höchstrichterlichen Enstscheidung kam es nicht, da die Richter im letzten Moment den Streitwert auf unter 5000 Euro festsetzten, so dass eine Revision beim OLG bedauerlicherweise nicht mehr möglich war.

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