Mausrutscher, Hass- und Hetzaccounts - alles halb so schlimm und im Zweifelsfall "Satire"?

30.05.2016 07:39

AfD-Vize Gauland landete mit seiner Beleidigung des Profi-Fußballers Jerome Boateng in einem riesigen Fettnäpfchen. Einen farbigen Fußballer wollte man in Deutschland nicht als Nachbarn haben, schwadronierte er vor einigen Tagen in einer Diskussion. - Ein Sturm der Empörung brach los, Gauland ruderte zurück, er habe das alles nicht so gemeint und - hier sprang er ins nächste Fettnäpfchen - schließlich sei Boateng "gut integriert".

Dass der Fußballer ein gebürtiger Deutscher ist und sich somit die Integrationsfrage per se überhaupt nicht stellt, scheint für AfD-typisches Denken irrelevant zu sein. Man hebt das 'Andere', das 'Fremde' hervor, mit deutlicher Auswirkung auf die Anhängerschaft: "ein deutscher Pass macht aus einem Menschen noch keinen Deutschen" konstatierten AfD-Anhänger dann auch prompt in den sozialen Netzwerken.

Das Mausrutscher-Prinzip (benannt nach dem Schießbefehl -Eklat der Beatrix von Storch, die sich mit "Ausrutschen auf der PC-Maus" herausredete) hat bei den Rechten inzwischen Methode: eine extreme Hassbotschaft wird in die Welt gesetzt, und nachdem die Anhängerschaft "geimpft" und die übrige Öffentlichkeit alarmiert ist, rudert man halbherzig zurück - doch die Sache ist in der Welt, ideologische Brandherde sind gesetzt bzw. werden am Lodern gehalten!

Nach Gaulands zweimaligem Fettnäpfchen-Kopfsprung meldete sich auch Frauke Petry noch zu Wort und bedauerte den "falschen Eindruck", der durch Gaulands Worte entstanden sei. - Kein Wort des echten Bedauerns, weder bei Gauland, noch bei Petry. - So werden die Anhänger nicht enttäuscht, die kritische Öffentlichkeit jedoch so gut es geht beschwichtigt.

Das "Mausrutscher"-Prinzip funktioniert auch im Netz, z.B. wenn Hass- und Hetzaccounts sich, wenn es ideologisch brenzlig oder gar justiziabel wird, schnell mal als "Satire-Account" bezeichnen...

An einem Wochenende im März erregte dieser (nach kurzer Zeit wieder gelöschte) Tweet eines unter AfD-Logo aktiven Twitter-Accounts (dieser war inzwischen inaktiv , wurde aber in diesen Tagen unter ähnlicher Bezeichnung wieder aktiviert) die Gemüter...

Der Account "AfD Bremen-Nord" hatte etwa 1200 Follower, bis dato etwas über 100 Tweets abgesetzt, hauptsächlich Retweets von Nachrichten anderer AfD-Accounts. Zwischen den RT's gab es typisch rechte Kommentare zum Zeitgeschehen - nichts, was heutzutage noch für besondere Furore sorgen würde. Für den Normalbürger oder -Twitterer also ein typischer Account eines kleinen Ortsverbandes, der ideologische Inhalte seiner Partei verbreitet.

Bis zu dem Tweet vom 18.3.2016, der sinngemäß androhte, die ZDF-Satire-Sendung "heute-show" als Erste abzusetzen, wenn die AfD an der Macht wäre.

Nach dem besagten Tweet, der als Screenshot auch nach der Löschung die Runde machte, ging allerdings keine Welle der Empörung durch das Netz, im Gegenteil: es wurden schnell Stimmen laut, die das Ganze für einen "Fake" oder "Satire" hielten. Manche riefen nach einer "Auflösung" durch Jan Boehmermann, den sie hinter der Sache vermuteten - der sich aber davon distanzierte.

Auch der AfD-Bundesvorstand distanzierte sich eilig von dem Account "AfD Bremen-Nord" und drohte vollmundig "juristische Schritte" an.

Also alles nur Satire?

Wir Menschen haben die Neigung, nach Dingen die uns verwirren, schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen und einfache Erklärungsmuster zu bemühen. Kompliziertes, Vielschichtiges mögen wir nicht, es verlangt zu viel Denkleistung ab.

Also war es naheliegend, den "Bremen Nord-Tweet" als Fake bzw. Satire abzutun und sodann die Gelegenheit zu nutzen, über diejenigen Zeitgenossen, die darauf "reingefallen" waren, noch einen Kübel voll Häme und Schadenfreude auszugießen. - Für meinen Tweet zu dem Thema erntete ich denn auch einen regelrechten Shitstorm...

Doch ich zog mich nicht beschämt zurück oder löschte hektisch meinen Tweet, sondern fing an zu recherchieren. Zunächst fiel mir auf, dass es viele Dutzend Accounts bei Twitter gibt bzw. gab (inzwischen sind übrigens etliche davon gelöscht!), die unter dem AfD-Logo auftreten.

Ich googelte nach dem Thema "Hetz-Accounts" und fand einen interessanten Artikel der Süddeutschen Zeitung zu einem unter CSU-Logo operierenden Account, der bis zu der SZ-Veröffentlichung offenbar stillschweigend von der CSU-Parteiführung geduldet worden war. Der anonyme Account konnte unbehelligt Hass und Hetze verbreiten, und die Partei war juristisch nicht zu belangen.

Ein praktisches Modell: anonyme Hetzer fischen unter Partei-Logo Wähler und Anhänger am rechten Rand, die Partei selbst ist moralisch und juristisch "aus dem Schneider". - Wenn es auffliegt, war alles nur "Satire".

Bereits Christian Morgenstern entlarvte, dass "nicht sein kann was nicht sein darf" in seinem Gedicht "Die Unmögliche Tatsache" ...

Bei Wikipedia werden wir über die komplexen Zusammenhänge und vielfältigen Spielarten der "Satire" unterrichtet. Es ist ein vielschichtiger Begriff für Äußerungs-Arten, denen vor allem Spott und Anprangerung des jeweiligen Objektes gemeinsam ist. Gute Satire zeichnet sich m.E. durch einen Überraschungseffekt aus, der sich in Erkenntnis auflöst. Sie verspottet nicht die Schwachen, sondern die Mächtigen. Der im SZ-Artikel beschriebene "CSU-pur"- Account tat das Gegenteil: er verbreitete geschmacklose Witze über Flüchtlinge und rechte Hetz-Propaganda.

Satire soll eine Peitsche sein, aber nicht gegen Wehrlose...

(Zeichung: Brigitte Dubbick)

 Und sie soll nicht Unbedarfte manipulieren! - Also denken wir alle noch einmal in Ruhe über das Geschehene nach - und sind in Zukunft noch vorsichtiger bei allem, was unter einem vermeintlich bekannten Logo daherkommt, denn sonst lässt uns eine menschen- und demokratiefeindliche Partei bald ziemlich...

aussehen...

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