Eulenspiegel würde weinen: ist der Kampf um Meinungsfreiheit verloren?

08.12.2015 14:16

 

 

Eulenspiegel würde weinen…

 

Der Möllner Leserbriefprozess / ein mächtiger Medienkonzern und der gescheiterte Kampf einer couragierten Leserin um Meinungs- und Pressefreiheit

Gestern erhielt ich die niederschmetternde Stellungnahme meiner Anwälte: eine Verfassungsklage gegen das zweitinstanzliche Urteil im Zivilverfahren um den unautorisiert veröffentlichten Möllner Streusalz-Lesebrief ist so gut wie aussichtslos. Die „Durchdringungsquote“, d.h. die Zulassung von Verfassungsbeschwerden  zur Verhandlung beträgt 2 %, der Rest wird mit hohen Kosten von vorneherein abgelehnt.

Zwar sehen meine Anwälte eklatante Rechtsfehler in dem Urteil, vor allem auch in der Urteilsbegründung, doch wäre die Aufarbeitung dieser Rechtsverstöße Aufgabe eines Revisionsgerichtes gewesen – das es in diesem Falle, da der Streitwert von 3000 Euro zu „niedrig“ ist, nicht gibt.

So bleibt dieses verheerende, interessengeleitete Fehlurteil, das Zivilcourage und selbstloses Bürgerengagement pejorisiert und inkriminiert, vorerst unangefochten.

Es ist ein schwerer persönlicher Schlag für mich, aber vor allem auch ein Rückschlag für viele andere „Whistleblower des Alltags“, die an besonders eklatanten Beispielen versuchen, fortlaufende Missstände aufzudecken und ihre Umgebung  wachzurütteln.

Ein weiteres gerichtliches Vorgehen gegen dieses „im Namen des Volkes“ ergangene Unrecht wäre jetzt nur noch in Form einer Schadenersatzklage gegen die Zeitung möglich, die jedoch mit hohem finanziellem Aufwand und großen  Risiken verbunden wäre. Es müssten Fachanwälte für Presserecht verpflichtet werden, die keine Scheu haben vor einem mächtigen Gegner wie dem Madsack-Medienkonzern.

Wie schwierig das ist, habe ich bereits im Juni 2013 erfahren müssen, als ein junger Presse-Anwalt aus Kiel sich zunächst bereit erklärte, den Zivilprozess (der damals noch im Einstweiligen Verfahren steckte) zu übernehmen, und mich dann plötzlich im letzten Moment auf unfreundlichste Weise abblitzen ließ. Fast ein Jahr später, nach einem für mich sehr aufschlussreichen Telefonat mit einem der Madsack-Anwälte, konnte ich mir die Vorgänge erklären: die Madsack-Anwälte hatten damals offenbar hinter den Kulissen auf den jungen Kieler Anwalt eingewirkt, den Fall nicht zu übernehmen. Das gab der Madsack-Anwalt im Telefonat mit mir indirekt zu. Auf welche Weise sie auf den jungen Kollegen einwirkten, habe ich nie erfahren…

Wie gesagt, es müssten zunächst zwei Voraussetzungen erfüllt sein, um einen Prozess gegen den Madsack-Konzern zu führen:  erstens müssten die nötigen finanziellen Mittel vorhanden sein und zweitens erfahrene Presse-Anwälte den Fall übernehmen.

Die Spendensammlung für den Möllner Leserbriefprozess, die im März 2014 eröffnet wurde, ergab bis dato (Dezember 2015) drei Einzelspenden im Gesamtwert von 250 Euro. Die bisher aufgelaufenen Kosten im einstweiligen Verfahren und im abgelaufenen Hauptsacheverfahren – sämtlich von mir als Prozessverlierer zu tragen – belaufen sich auf ca. 10 000 Euro. Darin enthalten auch die 1500 Euro, die mir von den Madsack-Anwälten für die Unterstützung der Kläger im einstweiligen Verfahren in Rechnung gestellt wurden. Aus eigener Tasche kann ich einen weiteren Prozess nicht bestreiten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt wären etwaige Zeugenaussagen. Meine wichtigste Zeugin für die Tatsache, dass die Veröffentlichung des Leserbriefes von mir nicht gewollt war, ist jene Besucherin, die mich am Vormittag des 21.3.2013 auf die Veröffentlichung ansprach.  Sie war es, die meine entsetzte Reaktion – meinen erschrockenen Gesichtsausdruck und meine Aussage: „das war doch so gar nicht zur Veröffentlichung gedacht“ - unmittelbar erlebte.

Im Einstweiligen Verfahren habe ich eine schriftliche Aussage (Eidesstattliche Versicherung) dieser Zeugin eingereicht, eine Vorladung erfolgte nicht. In einem Schadenersatzprozess jedoch würde sie sicher persönlich vorgeladen und von den gegnerischen Anwälten ohne pardon „in die Mangel genommen“ werden. Das wäre mir mehr als unangenehm! - Und so gibt es erhebliche Hürden, die einen Schadenersatzprozess gegen die Zeitung bzw. den Medienkonzern erschweren.

Doch es ist und bleibt eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ein Mensch, der sich aus selbstlosen Motiven an die Presse wendet, um eklatante Missstände (hier: im Umgang mit der städtischen Umwelt) zu thematisieren, durch ein Unterlassungsurteil quasi bestraft und zum Täter gemacht wird.

Allein die finanziellen Belastungen durch den Prozess sind bereits lebensverändernd.  Doch noch viel schlimmer ist die Beschmutzung des eigenen Selbstverständnisses durch die ungerecht aufgezwungene Täterrolle.

Als Ärztin, Psychotherapeutin und um die Umwelt besorgter Mensch ist mein Leben von Helfen, Unterstützen, Bewahren geprägt. Ich habe nie ein Aufhebens um meine Person gemacht, halte nichts von aufwändigem Lebensstil: im Gegenteil, ich versuche auch in meinem Alltagsleben, Ressourcen zu schonen und unsinnige Umwelt- und Klimabelastungen zu vermeiden.

Wie ich mit diesem gegen mich verübte Unrecht weiterleben soll, ob ich jemals wieder so etwas wie Glück empfinden kann: ich weiß es nicht. Ich habe die ganzen Jahre, während der Prozess lief, mein Bestes  gegeben, für meine Patienten, für die Sache des Umweltschutzes, für meine persönlichen Werte und alles, was mir wirklich wichtig ist.

Doch es verging kein Tag in diesen bald drei Jahren, wo meine Gedanken nicht mehrmals – meist morgens beim Erwachen – von dem zermürbenden Konflikt überschattet waren. Lediglich im Gespräch mit meinen Patienten, in intensiven Momenten in der Natur oder auch im Zusammensein mit meinen Tieren gelang es mir immer wieder, für eine oder zwei Stunden,  diesen unsäglichen Prozess gedanklich auszuschalten.

Ich habe alles getan, um Redakteuren und Führungspersonen der Zeitung  bewusst zu machen, dass sie zweifelsohne mitverantwortlich sind für die unautorisierte, verkürzte, mit reißerischer Überschrift versehene und redaktionell bearbeitete Veröffentlichung meiner Zeilen.

Zum zweiten Mal schrieb ich vor wenigen Tagen  den Geschäftsführer des Madsack-Medienkonzerns,Thomas Düffert.  Auf mein erstes Schreiben vom 10. April 2015 erhielt ich leider keine Anwort – nicht einmal eine Eingangsbestätigung.

Auch diesmal rechne ich mit keiner Antwort  –  doch vor meinem gerichtlichen und publizistischen Kampf um Gerechtigkeit als engagierte Leserin, Umwelt-Whistleblowerin und Bürgerin, die sich beharrlich und couragiert für gesellschaftliche Belange  einsetzt, soll  er nicht die Augen verschließen können. Ich zwinge die Verantwortlichen, hinzuschauen! Ich kämpfe gegen eine erschreckend willkürliche Justiz, die nach einem Prinzip des „Rechts des Stärkeren“ Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit aushebelt und  unbescholtene Bürger kurzerhand zu Tätern stempelt.

Es gab in den vier gerichtlichen Instanzen (je erste und zweite Instanz des einstweiligen Verfahrens und des Hauptsacheverfahrens), in denen eine Unzahl an Richtern tätig war, einen einzigen Richter, der sich in seiner Urteilsfindung von den Klägerinteressen lossagte und nüchtern nach den Buchstaben des Gesetzes urteilte:  am 2. April 2015 wurde im Hauptsacheverfahren ein erstinstanzliches Urteil verkündet, das die Klage auf „Unterlassung von  Eindruckserweckungen“ als unzulässig und unbegründet abwies. Der Richter stellte klar, dass ich gegenüber den Klägern keine  - und erst recht nicht irgendwelche unterlassungsrelevanten – Behauptungen aufgestellt habe. Die Klage auf Eindruckserweckung wies er von vorneherein als unzulässig ab.

Er stellt aber auch klar, dass ohne die verkürzte und veränderte Veröffentlichung meiner E-Mail durch die Lübecker Nachrichten der Konflikt nicht entstanden wäre.

Das Berufungsgericht hat am 2. Oktober 2015 dieses Urteil kassiert. Dieses Urteil missachtet in gröbster Weise rechtsstaatliche Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit, Selbstbestimmung, Menschenwürde und Schutz vor Diskriminierung.  Jedem Juristen, der sich nur ansatzweise mit Presserecht befasst hat, müssen sich bei der Lektüre der Urteilsbegründung die Haare sträuben. Die wesentlichen Kritikpunkte habe ich in dem Schreiben an Herrn Düffert zusammengefasst. Hier einige Auszüge...

"In dubio pro reo" - so lautet das oberste Prinzip im Strafrecht: im Zweifel für den Angeklagten. Eine Tat muss dem Verdächtigen lückenlos nachgewiesen werden, erst dann darf er verurteilt werden.

Im Zivilrecht gelten andere Prinzipien - die Richter haben einen größeren Entscheidungs- und Ermessensspielraum. Doch auch für sie gelten allgemeine Rechtsvorschriften, und natürlich dürfen sie in ihren Urteilen nicht gegen das Grundgesetz oder andere allgemeingültige Rechtsnormen verstoßen.  Sie unterliegen dem Neutralitätsgebot und dürfen Menschen nicht wegen ihrer Herkunft, Religion, Geschlecht oder anderer Eigenschaften diskriminieren und vorverurteilen.

Der Möllner Leserbriefprozess ist ein Zivilprozess. Ich wurde im März 2013 von Möllner Rechtsanwälten verklagt, die sich durch einen am 21. März 2013 (ohne meine Erlaubnis veröffentlichten) "Leserbrief" betroffen fühlten. Ich kritisierte in diesen Zeilen das ständige satzungswidrige Streuen von Salz vor Rechtsanwaltskanzleien. Die Lokalredaktion der Lübecker Nachrichten hatte eine reißerische Überschrift dazu erfunden ("ein Anwalt, der Salz streut, ist kein Vorbild") und wichtige Zusatzinformationen weggelassen, so dass die Veröffentlichung bei den Klägern den Eindruck erweckten, sie seien gemeint.

Gegen diese Eindruckserweckung klagten sie im Hauptsacheverfahren. Anfangs hatten sie noch gegen Behauptungen geklagt, als sich aber herausstellte, dass ich keine Behauptungen über die Kläger aufgestellt hatte, tauschten die Gerichte zu Gunsten der Kläger den Streitgegenstand aus und ersetzten Behauptungen durch Eindrücke.

Das Urteil der Berufungsinstanz zum Möllner Streusalz-Leserbrief schockiert durch seine diskriminierende Tenorierung. Es unterstellt allein aufgrund der Tatsache, dass ich Umweltschützerin bin, eine "Wiederholungsgefahr" für Äußerungen gegenüber den Klägern. Das ist vollkommen absurd: gerade mein Engagement in den letzten drei Jahren mit umfangreichen Fotodokumentationen, zwei Vorträgen vor dem Forst- und Grünflächenausschuss der Stadt Mölln, mit Blog und inzwischen 141 Streusalz-Mails, die regelmäßig an einen großen Empfängerkreis aus Politik und Gesellschaft versendet werden, sind Beweis für die Zielrichtung meiner Bemühungen: ein besserer und achtsamerer Umgang  mit unserer städtischen Umwelt. Keinesfalls bezwecken meine Aktivitäten und Veröffentlichungen eine Abwertung und Schmähung einzelner Personen – dies ist auch zu keinem Zeitpunkt geschehen!

Wenn das Gericht nun Äußerungen zu satzungswidrigem Streusalzgebrauch  (die zweifelsohne für die Allgemeinheit von Belang sind!) als „Schmähkritik“ umdeutet, so ist das realitätsfremd und  gewollt und dient nur dem Zweck, einen Unterlassungsgrund zu konstruieren. Das Gericht kriminalisiert mein Umweltengagement.

Meine ursprüngliche Absicht, auf eklatante und andauernde Missstände im alltäglichen Umgang mit der Umwelt hinzuweisen und eine Diskussion zu einem allgemeinwichtigen Thema in Gang zu bringen, wurde in dem gesamten Prozess in keiner Weise gewürdigt. Es wurde mir immer nur unterstellt, die Kläger persönlich schmähen zu wollen – was ganz absurd ist, denn ich habe die Herren bis zu dem Zeitpunkt, da sich mich verklagten, überhaupt nicht gekannt.

Es betrübt mich unendlich, dass ich nicht nur mit der Absicht, für die Umwelt  eine Verbesserung zu erreichen gescheitert bin, sondern dass darüber hinaus mein Engagement in den Schmutz gezogen und kriminalisiert wird.

Durch diese pejorisierende Täterzuschreibung und nicht zuletzt durch das Totschweigen  des Prozesses in den Madsack-Medien (insbesondere den Lübecker Nachrichten, die den ganzen Streit durch die unautorisierte „Leserbrief“-Veröffentlichung erst ausgelöst haben) wurde und werde ich zudem von politischer  und  gesellschaftlicher Unterstützung weitgehend abgeschnitten.

Im vorliegenden Urteil werden mir z.B. legitime prozessuale Verhaltensweisen wie z.B. das Bestreiten (alles, was nicht bestritten wird, gilt im Zivilprozess als zugestanden!) angelastet und als Indiz für eine „Wiederholungsgefahr“ gewertet.  Das ist nicht nur eine Pejorisierung legitimen Prozessverhaltens, sondern zeigt, dass ich nach den Maßstäben des Gerichts – egal was ich tue oder getan habe - mich nicht richtig verhalten kann : mit einem Nicht-Bestreiten hätte ich mir nach juristischen Regeln zwangsläufig geschadet, das Bestreiten jedoch wurde mir ebenfalls zum Nachteil gewertet. 

Der vorsitzende Richter und Landgerichtspräsident musste zwar in der Verhandlung, nachdem ich ihm nochmals ausführlich darlegte, dass ich zu keinem Zeitpunkt einen „salzstreuenden Anwalt“ beschrieben hatte (die Überschrift mit dem salzstreuenden Anwalt stammte von der Redaktion!) einräumen: Hier sitzen eigentlich die Falschen! – Doch anstatt diese wichtige Erkenntnis in die Urteilsfindung mit einfließen zu lassen, gründet das Urteil durchgehend auf einer pauschalen Schuldzuweisung gegenüber meiner Person. Dabei wird zielgerichtet alles zu meinem Nachteil gewertet, was greifbar ist – sogar rein hypothetische , in der Zukunft angesiedelte mögliche Ereignisse.

Dabei widerspricht sich das Gericht sich selbst, wenn es mir einerseits ganz pauschal „ungenaue Bezeichnungen der Personen, gegen die Streusalzvorwürfe erhoben werden und eine Deutung zulassen, dass es sich um die Kläger handelt“ verbietet – andererseits  „lediglich den Textteil Anwaltskanzlei in der ****straße am ***  “, was ja nun wieder sehr eingegrenzt  ist.

Doch die Probleme fangen gleich bei der Urteilsformulierung an, die – wie wir es bereits im einstweiligen Verfahren erleben mussten – erneut vom Klageantrag abweicht: hatten die Kläger in der Hauptsacheklage ganz pauschal den Antrag gestellt, mir zu verbieten, „durch Äußerungen einen Eindruck zu erwecken“, verbietet das Gericht in seinem Urteil davon abweichend, „durch Äußerungen wie…“ den genannten Eindruck zu erwecken.

Gleichzeitig räumt das Gericht wiederum ein, dass das „…Rechtsschutzziel nicht anders erreicht werden kann als mit dem Hauptantrag“ .   Dies aber offensichtlich nur, indem das Gericht noch mit einer kleinen Formulierungshilfe  („…wie…“ ) den Antrag abändert. Es macht aber nun einmal einen erheblichen Unterschied, ob man pauschal „Äußerungen“ verbietet, die bekanntlich in jeglicher Form  -  nonverbal oder verbal, in Wort, Schrift, Bild oder freier künstlerischer Darstellung - möglich sind, oder ob man die verbotenen Handlungen von vorneherein auf bestimmte verbale Äußerungen eingrenzt.

Dass ich zu keinem Zeitpunkt behauptet habe, die Kläger würden Streusalz aufbringen, musste sogar das Gericht einräumen. Es gibt freimütig zu, dass deshalb auf die Formulierung der „Eindruckserweckung“ zurückgegriffen werden muss. – Aber da beginnt die ganze Krux der Gedankenkonstruktion: wie genau kann man Verhaltensweisen eingrenzen, die zu einer „Eindruckserweckung“ führen? Müsste nicht das Gericht – solange das Gegenteil nicht bewiesen ist – vielmehr davon ausgehen, dass bei keinem einzigen Empfänger oder Leser der monierte Eindruck entstanden ist und es daher überhaupt keine Handhabe für ein Verbot von Eindruckserweckungen hat?

Ich habe in der Verhandlung am 9.10. versucht darzulegen, dass eine verbale Äußerung nicht gleich bedeutend mit einer Eindruckserweckung gleichen Inhalts ist. Wenn das so wäre, würde nahezu jede Meinungsäußerung eine Eindruckserweckung darstellen, was aber – Gott sei Dank – nicht der Fall ist.

Es muss doch vielmehr davon ausgegangen werden, dass bei niemandem durch den „Leserbrief“ vom 21. März 2013 der Eindruck entstanden ist, die Kläger hätten Salz gestreut etc.!

Die Leser der Veröffentlichung können in drei Gruppen eingeteilt werden: die Kläger selbst, Bekannte bzw. Mandanten der Kläger, Unbeteiligte. Welchen Eindruck haben diese Personengruppen gewonnen?

1. Die Kläger haben den Eindruck gewonnen, sie seien mit den Zeilen möglicherweise gemeint – nicht mehr und nicht weniger. Wir wissen, dass sie selbst am Morgen des Erscheinens der Veröffentlichung ihre Kollegen am Ende der Straße angerufen haben, um mit ihnen abzusprechen, wer nun eigentlich möglicherweise gemeint war und wer von beiden gegen mich vorgehen werde. Daran erkennen wir, dass der Eindruck selbst bei den Klägern nicht eindeutig war.

2. Die Mandanten und Bekannten haben einen ähnlichen Eindruck gewonnen: dass die Kläger möglicherweise gemeint waren – nicht mehr und nicht weniger. Die Meinung, die sie bis dato über die Kläger hatten, wurde sicherlich nicht verändert. Es ist nicht berichtet worden, dass auch nur ein einziger Mandant sich nach dem „Leserbrief“ von den Klägern abgewendet hätte.

3. Unbeteiligte Leser wissen in der Regel nicht, was die Straßenangabe bedeutet. Sie bringen diese Angabe nicht in Verbindung mit einer bestimmten Kanzlei. Diese Personen haben also überhaupt keinen Eindruck über die Kläger gewonnen.

Des Weiteren argumentiert das Gericht, ein Urteil zitierend, mit „Meinungsäußerungen mit Schmähungscharakter bzw. ehrenrührigen Werturteilen, sofern diese mit schwerwiegenden Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht verbunden sind“

Es ist vollkommen realitätsfremd und absurd, den Äußerungen  zum Streusalz-gebrauch vor Anwaltskanzleien solche „schwerwiegende Auswirkungen“ zuzuschreiben. 

Später im Text variiert das Gericht überraschenderweise den Streitgegenstand und moniert nun doch wieder – obwohl es bereits weiter oben festgestellt hat, dass ich keine Behauptungen gegenüber den Klägern aufgestellt habe – dass eine „unwahre Tatsachenbehauptung, die Kläger würden Streusalz aufbringen“ vorliege. – Damit widerspricht das Gericht sich diametral selbst.

Besonders abenteuerlich wird es bei der Konstruktion einer Wiederholungsgefahr, die das Gesetz zwingend vorschreibt, um überhaupt ein gerichtliches Verbot bestimmter Verhaltensweisen aussprechen zu dürfen. Da wird ganz pauschal mein Umweltengagement in ein „Gesamtverhalten“ integriert, das für die Kläger potentiell gefährlich werden könnte. Die „Gesamtschau“ meines Verhaltens legt für das Gericht den Schluss nahe, dass ich mich – zum Nachteil der Kläger - wieder kritisch zum Streusalz äußern könnte.  Schließlich hätte ich ja in der Vergangenheit auch Leserbriefe geschrieben.

Zur Krönung des Ganzen argumentiert das Gericht, dass „es sich nicht ausschließen lässt, dass vor der Kanzlei der Kläger wieder Streusalz verwandt wird“  und schon allein deshalb die Gefahr bestünde, dass ich mich wieder darüber beschweren könnte.

Dass am Ende noch völlig realitätsfern behauptet wird, der „Leserbrief“ sei „nicht situationsgebunden“ gewesen (jeder, der die Veröffentlichung gelesen hat weiß, dass das Gegenteil der Fall ist), unterstreicht den unbedingten Willen, ein verbotswürdiges Verhalten zu konstruieren.

Wie kann sich ein Landgericht ein Urteil erlauben, das so eklatant gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstößt?

Die Antwort ist einfach: der Streitwert des Prozesses wurde auf 3000 Euro festgelegt. Somit ist das Zivilverfahren mit der zweitinstanzlichen Entscheidung am Landgericht beendet. Eine Revision ist nicht möglich, weder das Oberlandesgericht, noch der Bundesgerichtshof würden sich mit der Angelegenheit befassen.

Bei einem Streitwert von „nur“ 3000 Euro kann sich ein Richter am Landgericht darauf ausruhen, dass – so drückte es mein Anwalt aus – „über ihm nur der blaue Himmel“ ist.

Wird nun der Möllner Leserbriefprozess in der Bedeutungslosigkeit verschwinden?

Nein – das wird er nicht. Meinungs- und Pressefreiheit, Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Persönlichkeit und Schutz vor Diskriminierung sind unschätzbar wichtige Errungenschaften der Demokratie, die nicht einfach einer gedankenlosen Interessenjustiz geopfert werden dürfen.

Ich werde weiter um Gerechtigkeit kämpfen. Auf publizistischem Wege und – wenn möglich – auch weiterhin gerichtlich. Ich lasse mich nicht ungerechtfertigt  in eine Täterrolle zwingen, nur weil ich aus Sorge um unsere unmittelbare Umwelt eine Zeitungsredaktion durch ein Whistleblowing wachrütteln wollte.

Nach wie vor ziehe ich einen Schadenersatzprozess gegen die Zeitung in Erwägung. Dieser kann aber nur durchgeführt werden, wenn die entsprechenden finanziellen Mittel in Form von Spenden zusammenkommen und sich erfahrene Presse-Anwälte zur Übernhame des Mandats bereit erklären.

Die Hoffnung stirbt zuletzt! Es geht um nichts weniger als essentielle Grundwerte unserer Demokratie: Meinungs- und Pressefreiheit, Zivilcourage, selbstloses bürgerliches Engagement, Umweltschutz und langfristigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen!

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