139. Möllner Streusalz-Mail im Wortlaut

04.11.2015 09:16
Liebe Leser,
 
ich begrüße Sie zu meiner 139. Streusalz-Mail. Sie als Empfänger eint die Tatsache, dass Sie im Laufe der Zeit alle ungefragt von mir ausgewählt wurden. – Und ich fühle mich bestätigt durch die Tatsache, dass in den ca. anderthalb Jahren des Erscheinens nur zwei Empfänger (eine Firma und eine Privatperson) sich haben aus der Liste austragen lassen.
Bekanntlich wurde ich seit März 2013 - seit dem Erscheinen eines von den Lübecker Nachrichten unerlaubt veröffentlichten “Leserbriefs”, von Möllner Anwälten, die sich durch die Zeilen betroffen fühlten, durch die Gerichte gejagt.
 
Die Gerichte sahen sich vor die knifflige Aufgabe gestellt, die in eigener Sache klagenden Rechtsanwälte  unbedingt gewinnen lassen zu müssen, aber in ihren Urteilsbegründungen dennoch den Anschein von Rechtmäßigkeit zu wahren.  Nur ein einziger Richter in Ratzeburg war mit seinem Urteil vom April d.J. tapfer von dieser Linie abgewichen. Doch dieses Urteil wurde jetzt kassiert.  - Was im Laufe der zweieinhalb Jahre “im Namen des Volkes “ an Verdrehungen und Verbiegungen geltenden Rechts zustande kam, findet seinen vorläufigen traurigen Höhepunkt – oder besser gesagt: Tiefpunkt - im Urteil des Landgerichts Lübeck vom Oktober 2015.
 
Mir wird nun also in diesem Urteil verboten, “durch Äußerungen wie... (es folgt der Text des veröffentlichten Leserbriefs) einen  “Eindruck zu erwecken” – nämlich den, dass die Kläger so sind und so handeln, wie es in dem Leserbrief ohne Namensnennung beschrieben war und durch den sich die Kläger subjektiv betroffen fühlten. – Welche Äußerungen mir außer den Veröffentlichten noch verboten sind, ob das z.B. auch nonverbale Äußerungen sein können (deren es bekanntlich unendlich viele gibt), bei welchen Empfängern außer den Klägern selbst dieser Eindruck erweckt werden könnte: über das alles schweigt sich das Urteil aus.
 
Anders sieht es mit der “Wiederholungsgefahr” aus, die das Gesetz zwingend zur Begründung eines gerichtlichen Verbotes vorschreibt.  - Hier entwickelt der Richter in seiner Urteilsbegründung eine erstaunliche Kreativität. Da wird zum Beispiel allen Ernstes zur Begründung einer Wiederholungsgefahr die Möglichkeit angeführt, dass “vor der Kanzlei der Kläger künftig Salz ausgebracht werden könnte”, und dass ich – da ich ja Umweltschützerin bin – deshalb wieder Kritik üben könnte. Ja liebe Leser, Sie haben richtig verstanden: als Wiederholungsgefahr für ein Verhalten dient hier nicht das Verhalten desjenigen, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird, sondern das Verhalten der anderen.
 
Sie greifen sich bereits an den Kopf? Lesen Sie das Urteil – es kommt noch schlimmer. Um eine Wiederholungsgefahr zu konstruieren, wird nicht einmal davor zurückgeschreckt, mein “Gesamtverhalten” kritisch unter die Lupe zu nehmen – natürlich mit für mich nachteiligem Ergebnis: insbesondere die Tatsache, dass ich mich für den Erhalt der Umwelt engagiere, wird vom Gericht getadelt. Das “fortlaufende” Schreiben von Leserbriefen (nun ja, drei oder vier Leserbriefe von mir sind seit 2007 immerhin erschienen) wird als potentielles Wiederholungsverhalten in Bezug auf subjektive Beeinträchtigungen der Kläger gewertet. Mit jedem neuen Leserbrief wächst immerhin statistisch die Gefahr, dass sich die Kläger erneut betroffen fühlen könnten.
 
Wie bitte – Sie sagen: selbstloses Engagement und Zivilcourage dürfen nicht bestraft werden? Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht? Anscheinend nicht, wenn sich Rechtsanwälte betroffen fühlen. Vor dem Gesetz sind alle gleich – aber einige sind wohl doch gleicher.
 
Liebe Leser, mir ist eigentlich nicht zum Lachen zumute: ich sehe mich als Opfer einer Willkür- und Interessenjustiz, die ihresgleichen sucht. Mein selbstloses, freiwilliges Engagement für die Umwelt – von dem ich keinerlei Gewinn habe - wird pejorisiert und in den Schmutz gezogen. Ich werde zum Täter gestempelt, nur weil ich versuche, auf fortlaufende Missstände hinzuweisen.
 
Wie sieht es hier nun aus mit dem Schutz von Whistleblowern? Auch Menschen wie ich, die weit verbreitetes und umweltschädliches Alltagsverhalten anprangern und sich damit dem Risiko von Anfeindungen aussetzen, haben Unterstützung verdient. Whistleblower des Alltags sind zahlenmäßig viel stärker vertreten als die berühmten Geheimdienst- oder Behörden-Whistleblower. Nur werden sie in den meisten Fällen schnell entmutigt. Den Weg, den ich gewählt habe, mit Öffentlichkeitsarbeit und gezielter Information der Umwelt über gerichtliche Anfeindungen, dürften nur die wenigsten bis jetzt gegangen sein. Zu groß sind Angst und Scham, zu sehr enttäuschen das Schweigen und die Ignoranz der Umwelt.
 
Und wie geht speziell die Stadt Mölln mit mir als Whistleblowerin um?
 
In einem zufälligen Gespräch mit unserem Bürgermeister Jan Wiegels am Rande einer Kulturveranstaltung im November 2013 schilderte ich ihm meine Sorgen wegen der damals im einstweiligen Verfahren laufenden gerichtlichen Anfeindung. “Die Zeitung hat Sie den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen” fasste Herr Wiegels die Situation treffend zusammen. – Doch über einige wohlwollende Äußerungen bei zufälligen Gelegenheiten ging die Unterstützung nicht hinaus. Herr Wiegels bot mir  zwar  noch im Frühjahr 2014 einen Pressetermin an, sagte diesen dann aber schnell wieder ab.
 
Kirsten Patzke von der SPD schickte mir im April 2014 eine aufmunternde E-mail. Man freue sich in der Partei, dass ich so “kämpferisch” sei, und man wolle mich “voll und ganz unterstützen”. Ich habe lange auf diese Unterstützung gehofft – bis heute ist sie ausgeblieben.
 
Herr  von Notz, der berühmteste Whistleblower-Schützer Deutschlands, wurde von mir fortlaufend seit Mai 2013 über den Möllner Leserbriefprozess informiert. Im Mai 2014 teilte er mir lapidar mit, er wolle sich “zu einem laufenden Gerichtsverfahren nicht positionieren”. – Über das “Zitronengesicht”, dass Herr v. Notz bei meinem Anblick zieht, berichtete ich bereits an anderer Stelle.
 
Was macht die Stadtverwaltung? – Nie werde ich die dramatische Schilderung der Situation der Stadtbäume durch den leitenden Stadtgärtner Karl Kinz  in einem Telefonat Anfang 2013 vergessen. Die Bäume würden entsetzlich durch das Streusalz leiden. Man versuche, ihr Leid im Sommer durch (so wörtlich) “Infusionen” zu lindern, jedoch nur mit bescheidenem Erfolg. Forstamtsleiter Jörg Thun bestätigte mir in mehreren Gesprächen und Mails die Belastungen der Bäume durch Streusalz. Doch die Politik habe bisher noch keine durchschlagenden Entscheidungen getroffen, um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen.
 
Und so bleiben die vielen Tonnen Streusalz, die jedes Jahr in die Umwelt gepumpt werden, eine Tragödie für die Natur. Aktuelles Beispiel diese beiden etwa gleichalten Spitz-Ahorne, am selben Tag vor etwa einer Woche aufgenommen:
 
   
 
Der erste Baum steht im Park, der zweite auf einem Parkplatz, wo bekanntlich im Winter immer wieder prophylaktisch – d.h. sogar ohne konkrete Gefahrenlage – gestreut wird.
Sie sehen, dass der Streusalz-geplagte Baum schon komplett kahl ist. Seine Vegetationszeit ist verkürzt, er bildet im Sommer keinen Massezuwachs, und als Feinstaub- und CO2-Vernichter steht er nicht mehr zur Verfügung.
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Und was macht die Zeitung?
 
Sie schweigt, und schweigt, und schweigt. Die Madsack-Konzernleitung hat die Möllner Streusalz-Leserbriefthematik bisher komplett unter Zensur gestellt. Kein Sterbenswort wird über den Prozess geschrieben. Nun ja – es gibt ja auch andere, publikumswirksamere Prozesse, wie z.B. den um niedliche Marzipaneulen. Über so etwas berichtet unsere Zeitung gerne...
 
Von der Zeitung verratene und gerichtlich verfolgte Streusalz-Whistleblower  sind einfach kein attraktives Topic. Das müssen Sie doch verstehen, liebe Leser!
 
Das Elend der Bäume aber  geht weiter, mein Elend als gerichtlich angefeindete Whistleblowerin auch. – Nach dem zweitinstanzlichen Urteil  im Hauptsacheverahren  bleiben horrende Gerichtskosten an mir hängen. Sie würden augenblicklich in Ohnmacht fallen, wenn ich Ihnen sagte, was mich dieser Prozess bisher gekostet hat (ich erinnere nur an die 1500 Euro, die allein die Madsack-Presseanwälte aus mir herausgemolken haben).
 
Doch ich kämpfe weiter.  Meine Anwälte werden eine Verfassungsklage vorbereiten. Dafür braucht es wieder einen langen Atem. Doch ich bin es den Bäumen, mir selbst und nicht zuletzt meiner Menschenwürde schuldig, gegen ein Machwerk das meine Persönlichkeit so ins Negative verzerrt, mich zur Täterin stempelt und mich – die ich mein ganzes Leben dem Dienen und Helfen gewidmet habe – so übel  inkriminiert, entschieden vorzugehen.
 
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!
 
Mit herzlichen Grüßen,
 
Ihre
 
Beate Schicker
 
 
 
 
 
 

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