Wunsch und Wirklichkeit: "Standards im Winterdienst" oder Freifahrtschein zum hemmungslosen Salzen?

17.01.2017 18:20

Mitte Dezember ließen die Stadtoberen von Mölln sich mit einem großen Zeitungsartikel feiern: "Mölln setzt Standards im Winterdienst" titeln die Lübecker Nachrichten vollmundig über diesem Bericht...

In 80% der Wetterlagen, so heißt es, könne der Streusalz-Einsatz mit dem neuen Streufahrzeug um "bis zu 60%" reduziert werden.  Heißt das nun, alles ist in Ordnung und unsere Bäume können aufatmen?

Natürlich nicht: niemand weiß, wie hoch das bisherige Niveau des Streusalz-Einsatzes ist, denn es wird von keiner Instanz wirklich kontrolliert. Selbst die Kommunalaufsicht muss zum Thema passen (Ich berichtete...). In einer E-mail heißt es, die Behörde habe "keine Möglichkeiten, in irgendeiner Form tätig zu werden"...

Der Artikel preist die technischen Vorzüge des 314000 Euro teuren Streufahrzeugs, das mit seinen Solespritzen die Begeisterung der Mitarbeiter weckt wie ein großes neues Spielzeug...

Das intensive Experimentieren des Winterdienstes mit Salzsole bzw. Feuchtsalz, das an die Bordsteinkanten und natürlich auch in die Baumscheiben spritzt, hatte ich schon länger beobachtet...

Und natürlich wird durch den hohen Anschaffungspreis der psychologische Druck auf den städtischen Winterdienst erhöht, das Gerät zu benutzen - auch wenn die Wetterlage es eigentlich, wie bei diesen Beispielen, nicht erfordert...

Es entspricht dem Zeitgeist, die Lösung für komplexe Umweltprobleme in technischer Gigantomanie zu suchen. Die Vielschichtigkeit der Problematik wird ja auch im Artikel deutlich, wenn hier wieder einmal der schwarze Peter auf den Bürger geschoben wird ("Privatleute streuen Salz auf Gehwege..."), und der Bürgermeister es wieder einmal bei bloßen Appellen bewenden lässt ("Ich bitte die Bürger, nur im Ausnahmefall Salz zu streuen"), die erfahrungsgemäß überhaupt nichts bewirken.

Der Artikel enthält in einem separaten Kasten unter der Überschrift "Streit um Streusalz" ein stark zusammengefasstes Statement von mir ...

Meine wichtigsten Forderungen, die ich bereits im Blog veröffentlicht habe:

  • Streusalzschäden müssen quantifiziert werden! Bodenproben an typischen Streusalz-belasteten Standorten müssen entnommen, untersucht und ein entsprechendes Kataster öffentlich zugänglich gemacht werden 
  • Gesetze zum Schutz der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen durch Streusalz müssen auf den Weg gebracht werden
  • Alternativen zum derzeitigen ungehemmten Salzeinsatz im öffentlichen und privaten Winterdienst müssen vorangetrieben werden
  • Konkrete Zahlen zu materiellen Schäden durch Streusalz, wie vorzeitiges Absterben von Straßenbäumen und Belastung von Gewässern, müssen ermittelt und öffentlich zugänglich gemacht werden
  • Das Haftungsrecht muss überarbeitet werden: es kann nicht sein, dass allein aus Regressangst flächendeckend umweltgiftiges Salz gestreut wird, nur weil bei Glätteunfällen die Haftung überwiegend beim Grundstückseigentümer bzw. der Gemeinde oder dem jeweiligen Straßenbetreiber liegt.
  • Die Abgabe von Streumitteln durch den Einzelhandel muss reglementiert werden: es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Baumärkte und Discounter ausschließlich Streusalz anbieten, wenn in Gemeindesatzungen der Gebrauch von Streusalz untersagt ist!
  • Das Paradigma ganzjähriger unbegrenzter Mobilität muss auf den Prüfstand! Ist es wirklich nötig, eine halbe Million Straßenkilometer mittels eines hochgefährlichen und kumulativen Umweltgifts (Natriumchlorid) bei winterlicher Witterung zu jeder Tages- und Nachtzeit für maximale Benutzbarkeit incl. Maximalgeschwindigkeit befahrbar zu machen? - Immerhin ist nachgewiesen, dass bei Winterwetter ohne Streusalz 25% weniger Verkehrstote zu beklagen sind!

Das alles ist natürlich weit komplexer und vielschichtiger als die Anschaffung eines spektakulären Großfahrzeugs, mit dem man das Problem aber  im Endeffekt nicht löst.

UPDATE: So sieht heute (17.1.2017) die Realität aus:

Schwarzer Winterdienst flächendeckend im ganzen Stadtgebiet: Taupfützen bei Minusgraden, salziges Tauwasser steht an den Gullis - auf dem Weg in die Kanalisation...

Unfassbare Mengen von Feuchtsalz wurden auf den Straßen versprüht, kleben an den Bordsteinkanten - wie hier vor dem Kurparkplatz...

Die Erfahrung, dass Dinge, die das Prädikat "umweltfreundlich" erhalten, zu hemmungslosem Gebrauch verleiten, erweist sich leider wieder einmal als allzu wahr!

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