Mail vom Bundesumweltministerium: wie hält es die Politik mit der Ehrlichkeit?

02.05.2017 22:41

Die ehrlichsten Aussagen zu Themen unserer Zeit kommen meist nicht aus der Politik - und das ist nicht erst seit Trump so. - Das Thema Winterdienst ist ein gutes Beispiel: Politiker sprechen stets von "Sicherheit", wenn die den billigen und bequemen Einsatz von Salz rechtfertigen wollen, um den Straßenverkehr rollen zu lassen wie im Sommer. Doch das ist nur vorgeschoben.

Sicherheit ließe sich auch anders herstellen: mit weißem Winterdienst wie in Skandinavien - und vor allem mit angepasster Fahrweise! - Leider scheint das mit dem Primat von wirtschaftlichem Gewinn und Konsum nicht vereinbar. - Die ehrlichsten Aussagen zum Streusalz finden wir in Publikationen der Salzindustrie. In einem Informationsblatt der K+S  AG (Kali und Salz) heißt es:

"Ein reibungsloser Ablauf des Straßenverkehrs ist für unsere Volkswirtschaft von überragender Bedeutung" und: "Leistungsfähige Straßen sind das Rückgrat unseres Verkehrs und somit unserer Wirtschaft".

Das ist doch wenigstens ehrlich! Hier ist von Sicherheit überhaupt nicht die Rede. Der Text preist auf den allerersten Seiten überschwänglich den wirtschaftlichen Nutzen von Tausalzen. Und das ist tatsächlich der wahre Grund für ihren hemmungslosen Einsatz.

Schauen wir uns an, was das Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit zum Thema sagt: dieser Standardtext ging als Antwortmail vor wenigen Tagen bei mir ein - ich habe meine Kommentare gleich eingefügt...

>>Sehr geehrte Frau Schicker,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 03.04.2017 zum Thema „Streusalzproblematik“ an das Bundesumweltministerium. Für unsere Arbeit sind die direkten und unmittelbaren Rückmeldungen der Bürgerinnen und Bürger sehr wichtig. Nicht nur, weil sie oftmals wertvolle Anregungen geben, sondern auch, weil sie ein wichtiger Spiegel für unsere Politik sind. Zu dem von Ihnen angesprochenen Thema können wir Ihnen folgendes mitteilen:

Der Einsatz von Tausalzen im Straßenverkehr schädigt Bäume, beschleunigt die Korrosion von Autos und Brücken und belastet die Böden und das Grundwasser. Aus diesen Gründen sind Salzstreuungen so weit wie möglich zu reduzieren.<<

Hier stimme ich noch uneingeschränkt dem Umweltministerium zu.

>>Es ergibt sich allerdings ein Zielkonflikt zwischen der vom Straßenbaulastträger zu gewährleistenden Verkehrssicherheit und Befahrbarkeit bei winterlichen Witterungs- und Fahrbahnverhältnissen und der Vermeidung von Umweltschäden.<<

Das ist falsch: ein „Zielkonflikt“ zwischen Sicherheit und Umweltschutz entsteht nur, wenn mithilfe umweltschädlicher Mittel eine ganzjährig maximale Befahrbarkeit angestrebt wird! Das hat dann aber eigentlich mit Sicherheit nichts mehr zun tun!

  • Ein „weißer“, salzfreier Winterdienst wie in Skandinavien sorgt durch Räumen von Schnee in Kombination mit angemessener Fahrweise für ebenso sichere Befahrbarkeit.
  • Das Problem ergibt sich erst dann, wenn man nicht bereit ist, im Winter durch angemessene (= langsamere) Fahrweise Einschränkungen in Kauf zu nehmen.

>>Nach der Rechtsprechung ist es den für den Winterdienst Verantwortlichen nicht erlaubt, bei Ihren Entscheidungen über die Art des Winterdienstes den Umweltbelangen einen Vorrang gegenüber den Verkehrssicherheitsbelangen einzuräumen. Ein generelles Verbot des Streusalzeinsatzes kann daher nicht in Erwägung gezogen werden. Letztendlich ist vor Ort von den Verantwortlichen im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht im Einzelfall über den Streusalzeinsatz zu entscheiden.<<

Welche Urteile werden hier zugrunde gelegt? Sind es höchstrichterliche Urteile und wie alt sind diese? In allen Rechtsbereichen gibt es bekanntlich eine ständige „Rechtsfortbildung“, die insbesondere dem Wandel von gesellschaftlichen Werten wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Erhalt der Lebensgrundlagen für kommende Generationen Rechnung tragen muss. Aus gutem Grund ist im Art. 20a GG der Umweltschutz als Staatsziel (!) definiert.

Zudem stellt sich die Frage, warum Umwelt und Sicherheit als unvereinbare Gegensätze dargestellt werden. Das suggeriert unzutreffend, dass ein umweltfreundlicher Winterdienst nur mit Abstrichen bei der Sicherheit durchführbar sei. - Tatsächlich gibt es mehr Verkehrstote mit Streusalz: Im Februar 2010 ging trotz winterlicher Straßenverhältnisse und Streusalz-Engpässen die Zahl der Verkehrstoten um 25 % zurück! Die Autofahrer waren zu angepasster Fahrweise gezwungen, überflüssige Fahrten wurden vermieden.

>>Eine in den letzten Jahren verbesserte Winterdiensttechnik und eine verbesserte Straßenwettervorhersage haben dazu geführt, dass zum Schutz der Umwelt die eingesetzte Tausalzmenge in der Regel auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt wird.<<

Das trifft leider nicht zu - im Gegenteil: jede Technik, die nur deshalb als „umweltfreundlich“ bezeichnet wird, weil sie z.B. mit prozentual verringerten Salzmengen auskommt, verleitet erfahrungsgemäß zu sorglosem und übermäßigem Gebrauch. Diese Gefahr erhöht sich noch durch fehlende Kontrolle bzw. Monitoring.

>>Daneben sind viele Kommunen dazu übergegangen, abhängig von Klima, Topographie, Fahrbahnbeschaffenheit und Verkehrsbedeutung auf innerörtlichen Straßen auf Salzstreuungen zu verzichten. Auf Gehwegen ist die Verwendung von Auftaumitteln ohnehin unzulässig.<<

Dafür gibt es leider unzählige Gegenbeispiele. Ich selbst dokumentiere in  Mölln seit Jahren das Winterdienstverhalten. Prophylaktisches Salzen ohne konkrete Gefahrenlage bis in die entlegensten Winkel hinein, auch in Endstraßen wo praktisch kein Verkehr herrscht, überflüssige Mehrfachstreuung mit Salz auf Gehwegen und Kreuzungen und ähnliche Aktivitäten sind an der Tagesordnung. - Zudem biete der Handel zu 90% Streusalz als Wintermittel an, so dass auch Privatleute ihre Bürgersteige überwiegend salzen.

>>Seit einer Vielzahl von Jahren appelliert sowohl das Bundesumweltministerium als auch das Umweltbundesamt regelmäßig an die Kommunen und die Bürger, beim Winterdienst auf den Einsatz von Streusalz so weit wie möglich zu verzichten. So ist in den vergangenen Jahren der Einsatz von Streusalz in den Kommunen um rund 40 % zurückgegangen. Auch die Kommunen in den neuen Bundesländern praktizieren diesen umweltfreundlichen Winterdienst. <<

Das ist definitiv falsch. In den 90er Jahren lag der Jahresverbrauch an Streusalz bei unter einer Million Tonnen. Inzwischen ist er auf bis zu 5 Millionen Tonnen (Winter 2012/13) angestiegen. Zu diesem dramatischen Anstieg hat nicht zuletzt der Streusalz-Engpass im Februar 2010 beigetragen, nach dem ein beispielloses Horten von Wintersalz in den Ländern und Kommunen einsetzte. Ein selbstverstärkender Kreislauf ist  in Gang gesetzt worden, bei dem immer größere Mengen an bevorratetem Salz zu immer mehr Verbrauch führen.

>>Als Folge sind in Deutschland insgesamt deutliche Erholungen beim Straßengrün eingetreten. Informationen, dass sich diese positive Entwicklung wieder umgekehrt hat, liegen nicht vor.<<

Bedauerlicherweise trifft auch dies nicht zu. Ich verweise auf zahlreiche Publikationen von Fachleuten zum Thema „Salz und Stadtgrün“, die belegen, dass unzählige Straßenbäume schwer salzgeschädigt sind. Dieser Artikel stellt fest: "Jeder zweite Baum ist (Streusalz-)krank"...

Ich selbst dokumentiere diese Schäden seit Jahren. Der Zusammenhang zwischen salzbelasteten Baum-Standorten und sichtbaren Schäden wie Wuchsverkümmerung, Zurücksterben, Blattrandnekrosen, vorzeitiger Laubfall und verkürzte Lebensdauer ist überdeutlich.

>>Wir hoffen, Ihre Fragen damit ausreichend beantwortet zu haben. Gerne möchten wir Sie auch auf die Internetseite des BMUB hinweisen. Unter www.bmub.bund.de  finden Sie viele weiterführende Informationen.

Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag

Ihr Bürgerservice im BMUB

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Stresemannstraße 128 - 130

10117 Berlin <<

Ein Standardtext, der die aktuelle Situation im Winterdienst schönredet und nicht einmal ein namentlich genannter Ansprechpartner - das ist ein schwaches Bild. In Sachen Chlorid und Umwelt bekommt das Umweltministerium von mir die Note Mangelhaft.

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